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Nähen und Nachhilfe als Tür zur Integration

Nähen und Nachhilfe als Tür zur Integration 1

Nähen für Flüchtlinge in BerlinIch habe euch ja schon mehrfach berichtet, dass ich seit September jede Woche einen Nähworkshop mit Flüchtlingen bei Visioneers leite. Ich bekomme dazu immer sehr viele Nachrichten mit Fragen und gerne möchte ich euch wieder ein bisschen von meinen Erlebnissen berichten. In den letzten Wochen habe ich mein Angebot ein wenig erweitert. Ich veranstalte vor Ort nun zusätzlich zum Nähworkshop einmal in der Woche einen Nachhilfetreffpunkt und habe insbesondere in den Osterferien ein vielfältiges Freizeitprogramm auf die Beine gestellt. So war ich mit zehn Jungs bei einem Fußballturnier beim 1.FC Schöneberg, bei dem sie den ganzen Tag in gemischten Mannschaften mit deutschen Spielern gespielt haben, habe eine historische Stadttour durch Berlin veranstaltet, wir waren im Hochseilgarten klettern, ich habe das persische Frühlingsfest im ethnologischen Museum mit ihnen besucht und wir haben viel Zeit im Park beim Reden, Kniffeln oder Tischtennis spielen verbracht.Nähen mit Flüchtlingen in BerlinIn unserem Nähworkshops nähen wir immer größere Projekte. Zuletzt waren dies Messenger-Bags aus Planenstoff, der nicht einfach zu verarbeiten war. Das Schnittmuster und die Anleitung gibt es für euch natürlich auch noch, sobald ich Zeit zum bearbeiten und bloggen finde. Die Jungs saßen mehrere Wochen an diesem Projekt, haben es jedoch erstaunlich gut und mit großen Stolz vollendet. Manche von ihnen können aber auch wirklich sehr professionell nähen, andere lernen es dafür von Woche zu Woche besser. Als nächstes möchte ich kurze Hosen nähen. Kurze Hosen besitzen die Jungs gar nicht bzw. haben auch, außer zum Fußball, nie welche getragen, weil das in ihren Heimatländern nicht erlaubt ist. Nach solchen Feststellungen merke ich, dass ich selbst im Umgang mit den Jungendlichen einfach auch unglaublich viel dazulernen, insbesondere über eine Kultur, die mir vorher komplett fremd war. Abgesehen von den Hosen, sind es immer wieder kleine Momente, die mir vor Augen führen, dass es doch einige kulturelle Unterschiede gibt. Als ich Getränke gekauft habe, wollte keiner aus den Flaschen trinken. Ich war irritiert, bis ich verstand, dass gemeinsames aus einer Flasche trinken in ihrer Kultur als extrem unhöflich gilt, also kaufte ich noch ein paar Becher, aber auch die Jungs lernen sehr viel über unsere Kultur, wenn sie mit uns unterwegs sind. Sie sind unglaublich interessiert und fragen und hinterfragen viele Dinge. Ihnen die deutsche Geschichte bei einer Stadttour in Grundzügen zu erklären war nicht einfach, aber ich hatte nie zuvor ein so interessiertes Publikum. Da ich in den vier Stunden bei weitem nicht alles erklären konnte, möchte ich hier unbedingt noch weitere Entdeckungstouren anbieten.

Stadtführung für Flüchtlinge in Berlin

Was mich übrigens auch fasziniert, ist das Miteinander der Jungendlichen. Unter den Jugendlichen herrscht eine erstaunliche Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Auch wenn vermutlich nicht jeder jeden mag, so sind sie doch immer extrem höflich zueinander, gehen auf eine Art liebevoll miteinander um, die mir, insbesondere im Umgang von Jugendlichen untereinander, komplett fremd war.

Nähkurs für jugendliche FlüctlingeEs gibt aber auch Momente, bei denen ich schlucken muss. Wenn ich zum Beispiel einen 15jährigen, der in höchster Professionalität seine Hemden repariert, frage, wie und wo er das so gut gelernt hätte und er mir erzählt, dass er als afghanischer Flüchtling im Iran in einer Näherei gearbeitet hätte. Das ganze bereits seit seinem 12. Lebensjahr, natürlich illegal, aber da er als Flüchtling die Schule sowieso nicht besuchen durfte, blieb ihm nichts anderes übrig. Mir ist natürlich klar, dass diese Art des Nähens nichts vergnügliches mit sich bringt, dennoch habe ich gefragt, ob ihm denn das Nähen hier im Workshop Spaß macht. Das bestätigte er mir ganz begeistert und meinte dann noch, dass hier ja alle immer super nett sind. Dann krempelte er seinen Ärmel hoch und meinte, im Iran hätten sie ihm immer ein Bügeleisen auf den Arm gesetzt, wenn er einen Fehler gemacht hätte. Das sind für mich dann keine einfachen Situationen, weil mir der Umgang mit solchen Erlebnissen bisher fremd war. Wenn ich dann aber sehe, wie fröhlich der Junge in diesem Moment, in dem er mit mir näht und redet, ist, habe ich das Gefühl, dass er zumindest jetzt eine gute Zeit hat. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern,  Gegenwart und Zukunft lassen sich hingegen noch positiv gestalten. Wenn ich dazu ein wenig beitragen kann, unabhängig davon, wie lange die Jugendlichen hier in Deutschland sind, ist das für mich eine sinnvolle Verwendung meiner Zeit. Inzwischen  treten die Jugendlichen auch oft mit ihren Sorgen, Ängsten und Fragen an mich heran und man merkt einfach, dass sie keine Erwachsenen sind und ihnen hier alleine in einem fremden Land die Ansprechpartner fehlen, mit denen sie über private Dinge sprechen können. Viele Sachen lassen sich in einem Gespräch lösen, andere, wie großes Heimweh nach den Eltern, natürlich nicht. Dennoch fühlen sich die Jungs oft einfach besser, wenn sie darüber mit jemandem reden konnten.Fußball mit Flüchtlingen in Berlin

Die Jugendlichen, die meinen Nähworskhop oder auch den Nachhilfeunterricht, sowie die anderen Aktivitäten besuchen, sind diejenigen, die tatsächlich den besten Zugang zur Sprache gefunden haben. Sie sind den anderen unbegleiteten Jugendlichen, die ebenfalls in der Unterkunft leben, um viele Monate in der Sprachentwicklung voraus, obwohl sie gleichzeitig angefangen haben zu lernen. Die ersten der Jungs gehen seit dieser Woche sogar bereits in die Regelschule, besuchen also ganz normale Schulklassen und das, obwohl sie erst im Dezember in Deutschland angekommen sind. Ein Junge ist dabei, der bei seinem ersten Besuch des Workshops im Dezember mich bat auf englisch mit ihm zu reden. Die wenigsten der Jungs können englisch, er allerdings schon. Dies verweigerte ich aber mit der Begründung, dass er in Deutschland sei und hier nun deutsch lernen müsse. Knapp drei Monate später sprach er mich darauf an, mit großer Dankbarkeit und meinte, dass er in diesem Moment verstanden hätte, dass er deutsch lernen müsste und dies eine unglaublich wichtige Situation für ihn war. Von da an brachte er sich im Selbststudium innerhalb weniger Monate deutsch bei. Aufgrund der wenigen Plätze, konnte er keinen Willkommensklasse besuchen. Heute war nun sein ersten Schultag in einer ganz normalen 9. Klasse von der er mir vor wenigen Minuten noch ganz begeistert berichtet hat. Der Junge redet wie ein Wasserfall auf deutsch und für mich ist es unfassbar, wie man so schnell eine Sprache ganz alleine erlernen kann. Das ich dazu zumindest einen kleinen Teil Motivation beitragen konnte, zeigt mir, wie sinnvoll mein Einsatz doch ist. Mit diesen besonders fleißigen Jugendlichen analysieren wir beim Nachhilfeunterricht zum Beispiel Texte. Mit anderen üben wir gleichzeitig das Alphabet, um ihnen überhaupt die Möglichkeit bieten zu können, die deutsche Sprache erlernen zu können. Um noch mehr Jugendlichen den Zugang zu Sprache und Kultur zu ermöglichen, versuche ich, auch weitere von den Jugendlichen zur Teilnahme zu motivieren und nehme zum Beispiel jede Woche zwei Jungs mit zum Nachhilfeunterricht, die noch keine Kenntnisse der deutschen Sprache haben und ich habe das Gefühl, dass auch für diese Jungs dies eine Anstossmotivation ist, da sie mich danach immer sehr freudig begrüßen und mit mir reden wollen, wenn wir uns zufällig in der Unterkunft oder im Park treffen.
Arbeiten mit jugendlichen Flüchtlingen in Berlin

Jetzt habe ich so viel geschrieben und ich könnte noch viel viel mehr schreiben. Für mich ist die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen eine große Bereicherung, sowohl aus kultureller, als auch aus menschlicher Sicht. Ich lerne jedes Mal so viel neues dazu und denke, dass wir alle, also die Jugendlichen sowie alle meine lieben Helfer, von der gemeinsam verbrachten Zeit  sehr profitieren. Falls es euch interessiert, könnte ich auch ein bisschen individueller auf die jungen Menschen und das, was sie bewegt, auf ihre Erlebnisse und ihre aktuelle Situation hier bei uns eingehen. Auf jeden Fall wird es aber immer wieder kleine Updates zum Nähworkshop geben. Als nächste Projekte habe ich wie erwähnt vor, kurze Hosen mit den Jungs zu nähen. Wenn ihr jemand kennt, der dafür passenden Stoff spenden möchte, würde ich mich riesig freuen! Ein weiteres Projekt, dass ich für den Sommer anstrebe, ist den Jungs schwimmen beizubringen. Eventuell könnte man also auch Badehosen nähen, falls sich hierfür Stoff finden lässt.

Hier habe ich noch ein paar bewegte Bilder für euch, bei denen ihr teilweise sehen könnt, wie viel Freude die Jugendlichen haben.

Video von Paul Schaerf

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9 Antworten zu “Nähen und Nachhilfe als Tür zur Integration”

  1. Tolle, extrem wertvolle Arbeit leistest Du! Danke, dass du dich aktiv einbringst und uns mit deinen Berichten mitnimmst. Weiterhin viel Kraft für dein Engagement!

  2. Hallo Julia,
    Hut ab vor deinem Engagement. Eine Frage hab ich dazu mal: Man liest und hört bei den von dir begleiteten Projekten eigentlich immer nur von männlichen Jugendlichen, die unbegleitete Flüchtlinge sind. Was ist mit Mädchen? Die müsste es doch auch bei euch geben. Oder sind es definitiv kaum Mädchen, die unbegleitet auf der Flucht sind? Oder sind deine speziellen Workshops und Aktivitäten einfach nur für Jungen vorgesehen, oder ist es unüblich, gemischte Gruppen zu haben, vielleicht aus kulturellen Gründen? Oder liegt es vielleicht einfach an getrennter Unterbringung? An meiner Schule (ich bin Lehrerin), gibt es im Moment zwei Willkommensklassen, in denen Jungen und Mädchen gemeinsam lernen. Wir werden dem,nächst noch zwei weitere Willkommensklassen dazu bekommen. Lieder ist es ziemlich schwer, im Schulbetrieb eines Gymnasiums Regelschüler und Willkommensschüler miteinander zu verknüpfen. Dies gelingt eigentlich nur dann, wenn die Willkommensschüler sprachlich so weit sind, dass sie durchgängig in einer Regelklasse sind. Erst dann gibt es engerer Kontakte und die Jugendlichen profitieren voneinander.
    LG Iris

    • Liebe Iris,

      es gibt sicher das ein oder andere unbegleitete Mädchen, aber nicht in der großen Anzahl, wie die Jungs. Das ist ja alleine schon kulturell begründet. In den Ländern, aus denen die vielen unbegleiteten Jugendlichen kommen, haben Frauen ja eine ganz andere Rolle, als Männer. Hinzu kommt, dass die Flucht teuer ist und das Geld nicht für die ganze Familie reicht, sodass sich meist der älteste Sohn auf den Weg macht. Ich habe die Jungs auch gefragt, aber aus Afghanistan und dem Iran ist ihnen kein einziges Mädchen bekannt, dass alleine geflohen ist. In meinem Nähworkshop sind immer wieder auch Mädchen. Das ist in der Zusammenarbeit mit den Jungs kein Problem und ich freue mich immer sehr, wenn auch Mädchen teilnehmen. Nur sind diese halt doch noch besser betreut, da sie mit ihren Familien hier sind und kommen deshalb weniger regelmäßig. Ich weiß, dass es problematisch klingt, dass ich mich vorwiegend um männliche Jugendliche kümmere, aber hier sehe ich aktuell besonderen Bedarf, da die Jungs keinen Erwachsenen hier haben und einfach selbst doch noch Teenager sind. Wären es mehr hilfebedürftige Mädchen, wäre mir das genauso recht.

      Tatsächlich hätte ich sehr gerne mehr Mädchen und vor allem beim Nähkurs auch deutsche Teilnehmer und wir sind dabei zu überlegen, wie wir dies erreichen können. Die Jungs sind auch alle in Willkommensklassen, in denen nur Jungs sind. Einfach, weil es so viele von ihnen gibt. Das die ersten beiden es in dieser Woche in die Regelklassen geschafft haben (der eine nach 2 Monaten Willkommensklasse und der andere komplett ohne Willkommensklasse) finde ich eine großartige Leistung und ich bin sehr froh, dass sie so nun endlich mit anderen Jugendlichen ihres Alters, Mädchen und Jungen, in Kontakt treten können.

      Liebe Grüße,

      Julia

      • Danke für deine ausführliche Antwort! Ich empfinde es als riesengroße Herausforderung im Schulalltag, denn es ist sehr schwierig , die Schüler aus Willkommensklassen in Regelklassen eines Gymnasiums adäquat zu unterrichten. Sie hätten an anderen Schulformen wie Sekundarschulen wesentlich mehr Chancen mitzukommen, aber diese Schulen sind ja zu voll und so bleiben sie meistens aus Bequemlichkeit des Schulamtes bei uns und gehen dort unter.

        • Ja, das ist wirklich ein Problem. Das Niveau der Jugendlichen ist generell ja auch sehr unterschiedlich. Ich habe recht gebildete Jugendliche dabei, aber bei einem auch feststellen müssen, dass er Analphabet war und deswegen gar keine Chance in der Schule hatte. Das hatte bisher allerdings noch keiner festgestellt und nachdem wir mit ihm das Alphabet gelernt haben und ein wenig lesen und schreiben, läuft es jetzt mit dem Deutsch lernen auch viel besser. Teilweise sind die Willkommensklassen sehr gut und ich bin erstaunt von dem guten Unterricht, der dort geboten wird. Das ist eine absolute Herausforderung für jede Schule. Die Qualität variiert aber scheinbar von Schule zu Schule sehr. Es geht leider auch umgekehrt. Ich habe zum Beispiel auch einen Jungen, der absolut fit für die Regelschule wäre und in einer Willkommensklasse sitzt, in der jeden Tag nur der Ball, der Spielplatz und das Haus unterrichtet wird, was den Jungen absolut fertig macht, da er fließend deutsch spricht und seit seiner Ankunft eigenständig jeden Tag den ganzen Tag gelernt hat. Eine super schwierige Situation auch für diesen Jungen, mit der er immer wieder an mich herantritt, aber hier weiß ich zum Beispiel einfach nicht, wie ich helfen kann.

          Liebe Grüße

  3. Schön das es Menschen wie dich gibt die sich so toll engagieren! Wünsche dir weiterhin viel Spaß und Kraft für diese Aufgabe! Ich lese da sehr gerne von.
    LG Janina

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