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Über den Wolken

Über den Wolken 1

Über den WolkenEinen Monat ist das neue Jahr nun auch schon alt, Zeit, um euch ein wenig aus dem Alltag zu berichten, zudem mich immer wieder auch Nachfragen erreichen, wie es mir und meinem Pflegesohn geht und ob er noch bei mir wohnt.  Heute gab es in Berlin die Halbjahreszeugnisse. Mein Pflegesohn geht sein diesem Schuljahr in eine Regelklasse einer Gesamtschule. Zugegeben, es ist eine ganz schöne Herausforderung, da er in seiner alten Heimat nie zur Schule gegangen ist, ihm von den negativen Zahlen, über Evolution und Dinosaurier bis hin zu auch nur irgendwelchen geschichtlichen Fakten alles gänzlich unbekannt war, geschweige denn, was ein Verb ist oder auch nur ein einziges Wort der englischen Sprache. Aber gut, er konnte vor knapp 2 Jahren auch noch gar kein deutsch und inzwischen redet er wie ein Wasserfall, natürlich noch nicht perfekt, aber eine durchaus beachtliche Entwicklung, wenn man bedenkt, wie viel er in seinem großen Rucksack noch mit sich umherträgt und was immer wieder dazu führt, dass er nächtelang nicht schlafen kann oder an lernen überhaupt nicht zu denken ist. Gerade liest er aber zumindest freiwillig sein erstes Buch, eine Biographie von Elyas M´Barek, der sein ganz großer Held ist. Es gibt durchaus schlechtere Vorbilder. In der Schule an sich kommt er gut zurecht, allerdings auch mit den ein oder anderen Schwierigkeiten, da die Schule sich an einem sozialen Brennpunkt befindet und ein viel zu großer Teil der nur 17 SchülerInnen keinen Lust auf Lernen zu haben scheint, ganz anders als er. Schwierig, aber erstens wollte keine andere Regelschule einen damals 16jährigen Flüchtling aufnehmen, gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass die Lehrer von seiner Lernmotivation offenbar begeistert sind, da er stetig bemüht ist sich zu beteiligen, was bei den anderen in diesem Ausmaß offenbar nicht so ganz der Fall ist. Er wünscht sich einen Schulwechsel, allerdings sehe ich auch den durchaus positiven Effekt, dass die Lehrer hier seine Lernanstrengungen sehen und ihn nach seinen Möglichkeiten fördern.

Über den WolkenDa in der kommenden Woche eine größere Operation ansteht, nach der erstmal viel Ruhe eingeplant ist, wurde das vergangene Wochenende genutzt, um einen ganz großen Traum zu erfüllen. Er wollte einmal mit dem Flugzeug fliegen. Im vergangenen Dezember bekam er endlich einen Pass, den ersten Pass seines noch jungen Lebens und zu Weihnachten strahlten die Augen dann über ein Geschenk ganz besonders, einen Flug nach Toulouse. Sicherheitskontrolle und Flughafen sorgten für ein wenig Stress, aber als wir dann endlich im Flugzeug saßen, war die positive Aufregung um so größer. Ich fliege übrigens gar nicht gerne und fühle mich in der Luft nicht wohl. Zufälligerweise saß auch ein syrisches Mädchen neben mir, ebenfalls eine Erstfliegerin und genau so aufgeregt. Ein recht entspannter Flug, in einem viel zu engen Flugzeug, mit großartigem Blick über die Wolken, allerdings auch ausschließlich Wolken und sehr vielen Fotos, zwei glückliche junge Menschen neben mir. Wie schön es sein muss, endlich Sicherheit zu verspüren und so leben zu dürfen, wie wir es in unserer Gesellschaft als ganz normal empfinden. Die kleine Flugreise wurde noch ein bisschen mehr unter das Motto fliegen gestellt, als wir in Toulouse dann auch noch das Aerospace in Toulouse besucht haben, dazu erzähle ich euch später genaueres. Bis in die Airbus-Produktion haben wir es aber auf jeden Fall nicht geschafft, da der Teenager, überwältigt von all den Eindrücken, schon nach dem Museum komplett ausgepowert war. Übrigens eine faszinierende Feststellung, während ich beim Reisen oft von morgens bis spät in den Abend unterwegs bin, schafft er das nicht. Alles ist zu neu, zu viel, weshalb es für mich gleichzeitig auch ein ungewöhnlich entspanntes Städtetripwochenende war, was mir aber wenig ausmacht. Ich bin deutlich glücklicher darüber, dass er inzwischen einfach zugibt, dass viele Sachen doch zu viel sind, als das es plötzlich schlechte Laune und Streitsituationen gibt. Alles kleine große Schritte in die richtige Richtung.

Über den WolkenIm Nachhinein hat er mir erzählt, dass er ja auch noch niemals in der Nähe eines Flugzeuges war und das alleine das schon unglaublich spannend sei. Als nächstes kommen wieder einige medizinische Dinge auf ihn zu, ein Implantat im Ohr, auf dessen Termin seit einem Jahr gewartet wird,  eigentlich muss auch als Zahnersatz ein Implantat her, da das medizinisch nicht anders zu lösen ist, wobei sich hier die Frage der Finanzierung stellt. Aber für alles wird sich sicher eine Lösung finden. Das Zeugnis war übrigens erstaunlicherweise hervorragend, er haderte und schimpfte zwar, aber vier Einsen und kein einziger Ausfall bedeuteten, dass er damit zumindest besser war, als mein Zeugnis aus der 9. Klasse es mir bescheinigte. 


10 Antworten zu “Über den Wolken”

  1. So und nun weine ich. Was für ein schöner Reisebericht. Ich hab erst vor ganz kurzer Zeit von dir gelesen. Habt schöne Ferien, ein bisschen winterlich soll es ja auch bei uns werden. Liebe Grüße von Simone aus dem Havelland.

    • Liebe Rosalinde,

      in den Ferien steht hier erstmal eine OP an, aber selbst darauf wird sich gefreut. Der Wunsch, endlich auf beiden Ohren hören zu können, ist groß 🙂

      Dir und deinen Lieben auch entspannte Wintertage!

      Alles Liebe,

      Julia

  2. Das war schön zu lesen, wie so wenig so große, tiefe, ehrliche Freude machen kann. Und auch so schön: wieviel Lust und Energie und Ehrgeiz dein junger Freund zum Lernen aufbringt. Welchen Wert das Lernen bei ihm bekommt. Bei meiner 10jährigen Tochter und ihren Freundinnen klingt das leider so völlig anders 🙁

    Liebe Grüße
    dörte

    • Naja, die Lust nach der Schule zu lernen, ist jetzt auch nicht so ganz groß, aber der Wunsch zur Schule zu gehen und zu lernen ist riesig. ihm ist völlig unverständlich, warum die meisten seiner Mitschüler darauf so gar keine Lust haben. Aber seien wir ehrlich, als ich zur Schule gegangen bin, habe ich das auch nicht als großes Privileg wahrgenommen und mich über jede ausgefallene Mathestunde gefreut. Ich kann mich nicht erinnern, jemals nach Hause gekommen zu sein und mich darüber beschwert zu haben, dass zu wenig Unterricht stattfand. Wenn man aber seit frühester Kindheit für das eigene Überleben arbeiten musste und immer die anderen Kinder bewundert hat, die zur Schule gehen durften in ihren hübschen Schuluniformen, ist das Verhalten vielleicht eher zu verstehen. Eine Teenager, der manchmal ganz normaler Teenager ist, manchmal sich aber auch wie ein 300jähriger, dann wieder wie ein 3jähriger verhält.

      Alles Liebe dir und deiner Tochter, die zum Glück ganz normal aufwachsen darf 🙂

      Julia

  3. Hallo Julia!

    Zu den viel Einsen gratuliere ich recht herzlich – das ist doch ein schöner Motivationsgrund und Dank für alle die Anstrengungen und Mühen beim Lernen 🙂

    Zu dem Zahnproblem folgendes – ich hab den Eindruck, euer Zahnarzt will nur verdienen, holt euch unbedingt eine unabhängige Zweitmeinung ein!

    Solange Dein Pflegesohn rechts und links von der Lücke noch Zähne hat, kann man das problemlos auch anders lösen. Eine feste Brücke in Zahnfarbe sieht man von außen absolut nicht, trägt sich ohne Fremdkörpergefühl und kostet nur einen Bruchteil eines Implantates. Er soll sich das nochmal überlegen. Ein seriöser Zahnarzt zeigt immer mehrere Alternativen auf!

    Recht gute Besserung wünsche ich an dieser Stelle.

    LG KleinerVampir

    • Hallo! Seid ihr wieder gesund? Es ist seit Weihnachten ja schon eine ganze Weile an Zeit vergangen. Wir waren inzwischen schon bei drei Zahnärzten, dieser ist der günstigste und auch der, den meine Familie seit Jahrzehnten besucht. Das Problem ist, dass die Zähne rechts und links von der Lücke bereits angegriffen sind, was aber noch zu lösen wäre, viel schlimmer ist, dass die ganzen hinteren Zähne schon so schief stehen durch die jahrelange Lücke, dass sie in die Lücke hineinzukippen drohnen und auch keinen festen Halt für eine Brücke bieten würden 🙁
      Naja, ich bin irrsinnig froh, dass ich sehr gute Zähne habe. Allerdings habe ich Zahnhygiene auch von kleinauf gelernt. Wenn man das nicht kennt, ist es kein Wunder, dass so gut wie jeder Zahn beschädigt ist.

      Alles Liebe,

      Julia

      • Hallo Julia,

        noch nicht ganz gesund. Ich muß immer noch Medikamente gegen Husten einnehmen und täglich inhalieren, es ist noch nicht überstanden. war aber auch etwas hartnäckiges.

        Das mit den Zähnen ist ärgerlich, allerdigs: mit einer Lücke weiter hinten kann man durchaus leben. Oder ist die Lücke vorne im sichtbaren Bereich? Für eine Brücke sind übrigens nur die beiden Zähne rechts und links notwendig, die werden übrigens lebend überkront. Wie Du schreibst, ist einer davon schon etwas in die Lücke gekippt. Das kann beim Abschleifen aber korrigiert werden. Klar, ist für den Arzt mehr Arbeit, aber so wie ich das verstehe, ist das mit dem Implantat auch eine Finanzfrage. Bislang gings ja auch ohne.

        Was ich mal off-Topic fragen wolle (weil ich Dich grad „an der Strippe“ habe): gibts eigentlich euren Mittwochs-Nähworkshop noch?

        Liebe Grüße
        KleinerVampir

        • Ohje, das zeiht sich ja ganz schön bei dir. Hoffe inzwischen ist es besser? Die Zähne rechts und links sind leider auch nicht mehr so wirklich brauchbar und recht beschädigt. Ich war extra schon bei mehreren Ärzten, scheint leider nicht ganz so einfach 🙁 Aber irgendwie wird auch das gelöst 🙂
          Aktuell mache ich die Workshops nicht mehr, da die meisten der Jugendlichen jetzt Inder Schulabschlussphase sind. Im April habe ich aber ein Projekt mit FSJlern, auf das ich mich auch schon freue 🙂

          Alles Liebe,

          Julia

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