Inzwischen nähe ich schon knapp zehn Monate jede Woche mit Flüchtlingen bei Visioneers, seit Anfang Dezember vorwiegend mit unbegleiteten Jugendlichen, die ohne ihre Eltern in Deutschland sind. In dieser Zeit sind schon jede Menge Projekte entstanden, von Mützen, Schals und Kissen bis hin zu unterschiedlichen Taschen und Mäppchen. Von Anfang an waren ein paar Jugendliche dabei, die in ihren Heimatländern in der Industrie gearbeitet haben und deswegen geschult im Umgang mit der Nähmaschine waren. Inzwischen sind aber auch die anderen, die seit Monaten wöchentlich nähen, richtig gut an der Nähmaschine geworden.
Da die Sprache auch kein Problem mehr ist helfen sie auch gerne, wenn andere Teilnehmer kommen, egal ob aus Deutschland oder irgendeinem anderen Land, das Projekt ist ziemlich international, die noch nie genäht haben. Wenn ich sehe, wie sie dann auf deutsch erklären, wie man am Anfang und Ende vernäht, wie die Nähmaschine zu bedienen ist und dann anfangen über Fußball oder andere Dinge zu plaudern, macht mich das doch sehr glücklich. Kleiner Rückblick: Anfang Dezember stand ich vor 36 Jugendlichen, die kein einziges Wort deutsch konnten und denen ich als unverschleierte Frau mit meinem Hund unglaublich suspekt war. Ein halbes Jahr später können wir uns problemlos über alles unterhalten, auch kulturelle Themen stellen keine Barriere dar. Sie verstehen und sprechen teilweise so gut deutsch, wie andere Freunde von mir nach vielen Jahren in Deutschland. Sie sind auf dem Besten Weg zur Integration, teilweise schon in normalen Regelklassen und ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell sie die Sprache gelernt und sich unserer Kultur angenährt haben.
Seit ein paar Wochen arbeiteten wir an einem gemeinsamen Großprojekt, einer Picknickdecke. Aufgabe war es, Quadrate von 25cm x 25cm kreativ zu gestalten. Die Jungs haben dabei relativ viele Quadrate gestaltet und zusätzlich haben auch alle Helfer und andere Besucher des Workshops, die aus den unterschiedlichsten Ländern zu Gast sind, Stoffstücke gestaltet. An Farben, Materialien und Mustern war alles erlaubt, die eigene Kreativität stand im Mittelpunkt.
So sind in den letzten Wochen jede Menge Quadrate entstanden, mit Namen in lateinischer und arabischer Schrift, mit Mustern, einer Ananas, einem Fußballlogo, Blumen, Herzen und so vielem mehr. Auch mein Hund Blume, der am Anfang aus religiösen Gründen ein großes Problem war, ist mehrfach auf der Decke vertreten. Ein Problem ist sie auch nicht mehr, viel mehr ist sie beliebter Kuschelpartner und irgendeiner will immer die Leine haben, wenn wir unterwegs sind.
Unser Quadrate mussten am Ende noch zusammengenäht werde. Natürlich waren sie nicht alle gleich groß, aber da insbesondere bei den Jungs ein paar Nähprofis dabei sind, war das ausgleichen mit anderen Stoffstücken- Gestern war es endlich so weit. Unsere Projekt Patchworkdecke wurde fertiggestellt. Sie ist ziemlich groß und sobald der Ramadan vorbei ist, werden wir damit ein Picknick im Park machen. Ich freue mich schon auf die nächsten Nähprojekte.
Auch ansonsten haben die Jungs aus dem Workshop sich bisher gut entwickelt. Neben dem Nähkurs leite ich noch einmal wöchentlich eine Hausaufgabenhilfe, die sehr gut besucht ist und nehme sie auch ansonsten oft mit, gehe mit ihnen wandern, schwimmen, habe ihnen die Freude am Inline Skaten und Tischtennis spielen näher gebracht und aktuell schauen wir natürlich auch viel gemeinsam Fußball oder essen am späten Abend zusammen, da einige der Jugendlichen zur Zeit den islamischen Fastenmonate Ramadan begehen.
Natürlich gibt es auch viele Sorgen, mit denen die Jungs oft zu mir kommen, vorwiegend Heimweh, Angst um die Eltern oder Zukunftssorgen. Hinzu kommen für die bereits volljährigen Jugendlichen ein paar bürokratische Aufgaben, die mich wenig begeistern. So stand ich am Dienstag sechs Stunden beim LaGeso, um einen gestohlenen Ausweis und alle Papiere neu zu beantragen, aber solange ich das zeitlich irgendwie hinbekomme, mache ich auch das sehr gerne.
Gesten fragte mich ein deutscher Jugendlicher beim Workshop, wie es für mich ist, mit Flüchtlingen zu arbeiten, während die anderen Jungs alle zuhörten. Diese Frage war etwas schwierig für mich, denn das Wort Flüchtlinge nutze ich ungern. Sie sind Flüchtlinge, aber das ist nur eine Beschreibung ihrer Situation und keine Charakterisierung eines Individuums. Wenn ich Jude, Christ oder Moslem bin, möchte ich sicher auf meine Religion reduziert werden, ebenso wenn meine Hautfarbe anders ist. Für mich sind sie nicht mehr „die Flüchtlinge“, sondern ganz normale Jugendliche, die in einer besonderen, sehr schwierigen Situation hier in Deutschland sind und denen man mit ein wenig Aufmerksamkeit und Freundschaft helfen kann. Denn genau das sind sie inzwischen für mich, sehr junge Freunde, mit denen man aber sehr viel Spaß haben kann, da sie voll von positiver Energie sind, wenn man ihnen nur die Möglichkeit gibt, diese in einer sicheren und familiären Atmosphäre auszuleben. Und wenn ich ein Stück dazu beitragen kann und ihnen als konstante Bezugsperson zur Seite stehen kann, mache ich das sehr gerne, so lange diese Hilfe benötigt wird.
Die Decke ist in jedem Fall super geworden, richtig schön bunt, groß und auch recht schwer. Um all die schönen Werke zu betrachten, reichen die Fotos leider nicht aus, aber zumindest könnt ihr euch einen Eindruck unserer Arbeit verschaffen.
5 Antworten zu “Neues aus dem Nähworkshop – Eine Patchworkdecke”
Wow! Die Decke ist ja wirklich sehr bunt und man kann immer wieder Neues entdecken. Hut ab vor so viel kreativem Schaffen!
Ich lese ja immer sehr gerne die Berichte, was ihr da bei dem Nähprojekt so alles macht (ich suche auch immer wieder bei Deinem Instagram nach neuen Berichten). Was mich nach der Lektüre Deines Berichts brennend interessiert, ist die Passage mit Deinem Hund. Warum stellte er denn aus religiösen Gründen ein Problem dar? Man lernt ja nie aus und daher frage ich einfach mal…
Interessant ist auch, dass ihr euch auch oft außerhalb des Workshops trefft. Haben die Jungs da nicht Schule oder Kurse? Okay, Schule ist auch mal aus, da kann man sich ja auch noch treffen 😉
Auf jeden Fall finde ich das Quadrat mit dem Hund mit den Knöpfen total genial! :-))
Liebe Grüße
KleinerVampir
Fragen sind super wichtig! Ich wusste das auch nicht. Der Hund ist im Islam ein unreines Tier und man darf zum Beispiel nicht beten, wenn ein Hund in der Wohnung ist bzw. muss sich sieben Mal waschen, wenn man beten möchte und vorher einen Hund berührt hat. Das ist eine strenge Auslegung des Islams und natürlich hält sich bei uns in Deutschland nicht jeder Moslem daran. Die Jungs kommen alle aus sehr religiösen Ländern, weshalb das für sie zu Beginn sehr schwierig und neu war. Hund war immer dreckig und ein großes Problem, auch hatten sie große Angst vor ihm. Aber sie haben relativ schnell gelernt, dass unsere Hunde hier keine gefährlichen Straßenhunde sind und das sie bei uns Teil unserer Familien sind. Das finde ich super, so wie du und ich ihre Perspektive kennenlernen müssen, müssen sie natürlich auch erst einmal verstehen, dass Hunde in unserer Kultur einen anderen Stellenwert haben. Und aus diesen Erfahrungen zu lernen ist so unglaublich wichtig.
Tatsächlich gehen die Jungs zur Schule, aber es gibt ja Nachmittage, Abende und natürlich auch das Wochenende. Ich mache mich jetzt übrigens auf den Weg zum Musikabend in der Schule, da die Jungs dort heute einen Auftritt haben, den ich mir nicht entgehenlassen möchte 🙂
Alles Liebe,
Julia
Danke für die Erläuterungen, das habe ich wirklich noch nie gehört. Ich stelle mir das Leben mit so vielen Regeln ziemlich kompliziert und einschränkend vor. (Ich hatte eher vermutet, dass vielleicht einer Angst vor Hunden hat oder sowas, an religiöse Gründe hätte ich im Leben nicht gedacht).
Allerdings: Neues Land, neue Sitten und Gebräuche – finde ich gut, dass sich die Jungs (nicht nur in der Beziehung) prima integriert haben und Deinen süßen Hund jetzt mögen 🙂
Die Decke ist sehr schön geworden. Was für ein wunderschönes Projekt. Die Jungs und du können wirklich sehr, sehr stolz auf das sein was ihr da geschaffen habt
LG
Britta