Die Adventszeit ist für mich eine besinnliche Zeit, in der ich viel nachdenke. So kurz vor Weihnachten möchte ich noch einmal auf die vergangenen Monate zurückblicken und euch ein wenig von dem bewegen, was mich zur Zeit bewegt.
Das Wort des Jahres ist Flüchtling und tatsächlich sind die vielen Flüchtlinge ein Thema, das Deutschland und Europa in diesem Jahr bewegt hat. Auch ich, normalerweise leider wenig politisch interessiert, bin von der Situation überrascht worden. Auf der einen Seite sehe ich Menschen, die Angst haben, die sich gegen Flüchtlinge positionieren und dies in sozialen Netzwerken und auch laut auf der Straße äußern. Auf der anderen Seite stehen die vielen Helfer, die Suppe kochen und zum LaGeSo bringen, die Deutschunterricht anbieten, Spenden sortieren oder Betten aufbauen.
Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft werden hier groß geschrieben. Aber wie ausgeprägt sind diese Werte in unserer heutigen Gesellschaft?
Die Initiative Du bist ein Gewinn der Deutschen Fernsehlotterie möchte zur Situation in unserer Gesellschaft einen Denkanstoss bieten und zum Diskutieren anregen. Unter den Hashtags #fernsehlotterie und #dbeg könnt ihr euch beteiligen und euch zu Themen wie „Ist Solidarität ein Wert oder nur ein Wort?“, „Flüchten wir vor Flüchtlingen?“ oder „Ist unsere Gesellschaft auch eine Gemeinschaft?“ äußern.
Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Gesellschaft die Möglichkeit hat, auch diese von vielen als schwierig wahrgenommene Situation zu meisten und möchte euch diesbezüglich sehr gerne von meinen Erfahrungen in den letzten Monaten berichten.
Kreative Nachmittage mit Flüchtlingen
Im Sommer saß ich im Garten und wurde unerwartet mit negativer Stimmung Menschen mit Migrationshintergrund konfrontiert. Das beunruhigte mich und brachte mich zum Nachdenken über unsere Gesellschaft. Nur wenig später erhielt ich die Anfrage, ob ich nicht einmalig einen Nähworkshop für Flüchtlinge anbieten könnte, woraus seit September ein regelmäßiges Projekt geworden ist.
Jede Woche treffe ich dort auf unterschiedliche Menschen. Zur Zeit holen wir Jugendliche aus einem Heim ab, die ohne Eltern in Deutschland sind, also junge Männer, von denen man sich vielleicht gar nicht vorstellen kann, dass sie Lust auf Nähen oder Basteln haben. Tatsächlich ist es aber so, dass sie sich bereits nach wenigen Minuten durchgängig alle in ihre Kreativprojekte vertiefen und teilweise richtige Nähprofis sind. Es herrscht eine entspannte, zum Teil ausgelassene und fröhliche Stimmung und die Jungs sind zumindest für ein paar Stunden aus ihrem Alltag rausgerissen und haben Spaß. Zusätzlich lernen sie dabei auch ein wenig deutsch und gewöhnen sich an die deutsche Sprache, da ich alle Workshops auf deutsch durchführe. Das soziale Miteinander wird hierbei ebenfalls gefördert. Bisher gab es unter allen Teilnehmern, egal aus welchem Land, ob Flüchtling, Helfer, Mann, Frau oder Kind, keine Probleme. Im Gegenteil, man lernt unglaublich viel voneinander und sieht, dass wir im Grunde gar nicht so verschieden sind, wie man vielleicht vorher denkt.
Helfen kostet Zeit
Es sind nicht nur die paar Stunden Nähworkshop, sonder auch Vor- und Nachbereitung, wodurch ich mindestens einen Tag die Woche beschäftigt bin und dementsprechend weniger Zeit für andere Projekte habe. Das ist etwas, was in unserer schnelllebigen Gesellschaft, in der sich Termin an Termin reiht, zum Problem werden kann. Ich kenne viele Leute, die gerne helfen würden, die sich aber nicht die Zeit nehmen können oder wollen. Zusätzlich besteht teilweise auch eine Hemmschwelle, den Kontakt mit Flüchtlingen aufzunehmen, da das durch die Medien vermittelte Bild teilweise nicht sonderlich positiv ausfällt. Neben dem Zeitaufwand ist es teilweise auch wirklich anstrengend. Als Anfang Dezember plötzlich 36 Jungs gleichzeitig zum Nähen kamen und danach noch ein zweiter Workshop stattfand, war ich am Ende körperlich erschöpft, wie selten zuvor. Aber tatsächlich sind das alles keine Gründe, sich nicht zu Beteiligen, denn dies wird alles aufgewogen, durch das, was man dafür erhält.
Helfen schenkt positive Momente.
Durch die Nähnachmittage erfahre ich so viel positivies, dass ich meine Zeit sehr gerne investiere. Die Begeisterung der Teilnehmer fürs kreative Werkeln ist riesig und ich habe so viele wundervolle Menschen kennengelernt, sowohl unter den vielen freiwilligen Helfern, ohne die das alles nicht möglich wäre, als auch unter den Flüchtlingen. Ohne zu helfen wäre ich wohl nie auf Victoria getroffen, die meine Begeisterung für kreative Projekte teilt, auf Omar, der in wenigen Wochen deutsch gelernt hat und dem Leben gegenüber so positiv eingestellt ist und auf Lilian, die mit ihren 13 Jahren ebenfalls viel Lebensfreude mitbringt und mich immer wieder mit ihren kreativen Ideen begeistert. Ich habe in den wenigen Wochen so viele wundervolle Menschen kennengelernt, dass es sich inzwischen anfühlt, wie wenn man zu Freunden geht und genau das sind einige für mich bereits geworden.
Es ist faszinierend, die Entwicklung der Teilnehmer zu sehen. Die Mädchen und Frauen, die in den ersten Wochen vorwiegend kamen, sind inzwischen alle in Schulen und Sprachkursen untergebracht, haben viel zu tun und kommen nur noch ab und zu vorbei. Zwei syrische Teilnehmer vom September sind inzwischen zu Projekthelfern geworden und unterstützen mich bei den Workshops tatkräftig, wobei wir uns bereits relativ fließend auf deutsch unterhalten können. Das sind für mich erste kleine Erfolge in der Integration, die für unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren einen immens wichtigen Stellenwert einnehmen wird.
Ich bin im übrigen auch sehr stolz auf euch! Mir persönlich ist es in den vergangenen Monaten sehr wichtig geworden, Stellung zu beziehen, sei es durch mein kleines Hilfsangebot, als auch dadurch. dass ich euch auf dem Blog und in den sozialen Netzwerken regelmäßig über meine Arbeit mit Flüchtlingen informiere. Auf facebook berichte ich häufig von den Nähworkshops und bisher ist kein einziger Hasskommentar, noch nicht einmal ein negativer Kommentar aufgetaucht. Stattdessen habe ich so viele Materialspenden von euch erhalten, die das Projekt überhaupt erst möglich machen. Auch das ist für mich Solidarität und ich bin froh zu sehen, wie positiv ihr da aufnehmt.
Was sind eure Erfahrungen in diesem Jahr?
gesponserter Artikel
9 Antworten zu “Anzeige -Welchen Wert hat Solidarität in unserer Gesellschaft?”
Liebe Julia,
ich lese schon eine ganze Weile mit und bin wirklich begeistert von deiner Hilfsbereitschaft und deinem Engagement!
Es ist schön zu wissen, dass es so viele Menschen gibt, die helfen, wo sie können.
In meinem direkten Umfeld habe ich bisher keine Negativen Reaktionen auf das Thema Flüchtlinge mitbekommen, höchstens Sorge, aber ich weiß auch, dass viele Menschen stark mit Vorurteilen behaftetet (da nehme ich mich nicht aus) und eher skeptisch sind.
Ich denke aber das größte Problem ist einfach die Scheu, mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten, aus verschiedensten Gründen. Nicht in jeder Stadt gibt es so tolle Projekte, wie du sie machst und viele Leute wissen einfach nicht wie sie helfen sollen.
Vor einer Weile habe ich zufällig einen Flüchtling getroffen, der gerade in unsere Stadt kam. Seitdem helfe ich ihm ab und zu unsere Sprache zu lernen und es ist unglaublich, wie dankbar er ist, für das wenige, das ihm hier gegeben wird. Ich habe selten Menschen getroffen, die so positiv in die Zukunft schauen und das hat auch mir selbst einen ganz anderen Blickwinkel gezeigt.
Liebe Grüße,
Ronja
Liebe Ronja,
das was du aus deiner eigenen Erfahrung beschreibst, ist genau das, was ich aussagen wollte. Diese positive Sicht auf das Leben und die Dankbarkeit für das Wenige, was wir mit ein wenig Zeiteinsatz geben können, habe ich auch sonst noch nie so erlebt. Ich weiß auch nicht, ob ich ein passendes Projekt für mich gefunden hätte, wenn ich nicht direkt angeschrieben worden wäre. Die Hemmschwelle zu überwinden, sich zu engagieren ist immer schwer und ich finde es wundervoll, dass du so offen bist und aus einer zufälligen Bekanntschaft ein Hilfsangebot entwickelt hast. Angst und Sorge finde ich übrigens durchaus legitim. Der Idealfall ist dann natürlich, dass man sich mit seinen Ängsten auseinandersetzt und in diesem Fall einfach den Kontakt mit Geflüchteten sucht. Alternativ versuche ich, einfach auch viel von dem zu berichten, was ich vor Ort erlebt habe sei es im ganz normalen Alltag oder auch hier auf dem Blog. Außerdem nehme ich auch gerne Flüchtlinge, mit denen ich mich angefreundet habe, mit zu Veranstaltungen und Treffen, was tatsächlich bei vielen ein wenig die Sicht verändert.
Ich wünsche dir einen wundervollen 4. Advent!
Liebe Grüße,
Julia
Julia, du bist einfach toll 🙂
Leider gehöre ich zu denen, die irgendwie nie Zeit gefunden hat, mich aktiv zu beteiligen. Ich bewundere dich jedoch sehr und finde es toll, dass du die Zeit und Kraft investierst, um ein bisschen Farbe und Spaß in einen Alltag von Menschen zu bringen, die sich vermutlich einen etwas anderen Alltag wünschen würden.
Frohe Weihnachten meine Liebe 🙂
Liebe Natalie,
ich möchte keinesfalls bewundert werden, nur ein wenig von dem zeigen, was mich bewegt. Gerade weil dieses Thema so viel in den Medien ist und häufig auch negatives berichtet wird, finde ich Erfahrungsberichte so wichtig. Flüchtlinge sind ja nicht einfach eine Masse von Menschen, sondern Individuen, so verschieden wie alle anderen auch. Das wird in der Diskussion viel zu oft außen vor gelassen und ich würde mich freuen, wenn ich die Sicht des ein oder anderen mit meinen Berichten wenigstens ein klein wenig verändern kann. Ich weiß, dass du als Entwicklungshelferin selbst bereits sehr viel geleistet hast und solltest du einmal Zeit oder Lust haben, kannst du mich natürlich jederzeit auch gerne zu einem Workshop begleiten.
Ich wünsche dir und deiner Familie eine wundervolle Weihnachtszeit.
Alles Liebe,
Julia
Hallo Julia,
ich bin begeistert von deinem Beitrag und von dir. Man kann deine Begeisterung für das Projekt aus deinem Beitrag lesen und das tut neben so viel ängstlichen bis negativen Aussagen, die oft irgendwo zu lesen, ehrlich gut.
Liebe Grüße
Sandra
Liebe Sandra,
vielen Dank für deine lieben Worte! Es macht auch wirklich unglaublich viel Spaß. Für mich selbst ist das auch eine unglaublich spannende Erfahrung, von der ich sehr gerne berichte. Es wäre so toll, wenn die vielen Menschen mit Vorurteilen und Ängsten einfach einmal bei solchen Projekten vorbeischauen würden. Nach so einem Nachmittag versteht man die Situation der Flüchtlinge viel besser und merkt auch einfach, welche Schicksale und sympathische Menschen hinter dem anonymen Begriff „Flüchtlinge“ stecken.
Ganz liebe Grüße und dir einen guten Rutsch ins neue Jahr!