Willi Fährmann: So weit die Wolken ziehen (Hörbuchrezension)

Ruth wird von ihrer Tante in ein österreichisches Internat gebracht, indem sich bereits ihre Schwester Irmgard aufhält. Eigentlich kommen die beiden Mädchen, ebenso wie alle anderen Internatsschülerinnen aus Oberhausen. Doch in Oberhausen gibt es aufgrund der anhaltenden Bombenangriffe im Jahr 1943 längst keinen Unterricht mehr. Ruth ist eigentlich noch zu jung für das Internat, aber aus Sorge vor den Luftangriffen hat ihre Tante, die gleichzeitig auch Lehrerin ist, sie mitgebracht. Ruth erlebt ein meist fröhliches Internatsleben, das jedoch von der nahenden Front und den darauf folgenden Ereignissen überschattet wird.

Dem Autor Willi Fährmann gelingt es, den Alltag im Nationalsozialismus so zu vermitteln, dass man die Mädchen verstehen kann, ohne die Ideologie zu akzeptieren. Das, was hinter den Kulissen des Reiches passiert, scheinen die Kinder nicht zu wissen. Sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in denen ihnen die NSDAP und der Nationalsozialismus als Normalität scheinen. Sie haben lange keine Zweifel, das Hitler ihnen den Sieg bringen wird und ahnen nicht, was ihr geliebter Führer für Grausamkeiten ausführen lässt.

Ruth versteht nicht, warum bestimmte Lieder nicht mehr gespielt und gesungen werden dürfen und warum man über gewisse Dinge nicht sprechen darf. Sie versteht nur, dass es gefährlich ist und somit schweigt sie. Das Verhalten des Mädchens spiegelt dabei das Verhalten einer Gesellschaft wieder, die schweigt, anstatt aufzubegehren und die wegschaut, anstatt hinzusehen. Bei den Kindern geschieht dies aus kindlicher Naivität, aus dem Glauben an das, was die Erwachsenen ihnen erzählen, aber auch aus Angst und Selbstschutz. Auch die Erwachsenen in der Geschichte, die Lehrer und Betreuer, scheinen keine begeisterten Nationalsozialisten zu sein. Aber sie vertreten und vermitteln den Kindern die nationalsozialistische Ideologie. Wenn der Blick des Staates jedoch nicht so scharf ist, werden Regeln plötzlich außer acht gelassen. So feiern die Kinder dennoch Weihnachten mit einer Krippe und auch die Zwangsarbeiter werden mehr als Mensch betrachtet, als es ideologisch sein sollte.

Die Geschichte ist so erzählt, dass sie auch für Kinder und Jugendliche interessant ist. Dabei werden historische Aspekte der Zeit nicht außen vor gelassen, jedoch so in die Erzählung eingebunden, dass sie auch für ein jüngeres Publikum nicht zu grausam sind. So gibt es natürlich Tote und auch die Verfolgung der Juden wird angeschnitten, allerdings kann eine heutige Generation ohne Vorkenntnisse die genauen Zusammenhänge des historischen Geschehens nicht verstehen. Das Hörbuch bzw. Buch So weit die Wolken ziehen eignet sich damit auch hervorragend als Unterstützung für den Geschichtsunterricht. Aber auch ohne historische Kenntnisse der damaligen Zeit, versteht man die Geschichte der Kinder, die nicht viel anders als heutige Kinder sind. Die in einem Internat leben und dort viele schöne Dinge erleben und die dennoch eine ständige Bedrohung verspüren.

Mir hat das Hörbuch in seiner Gesamtheit sehr gut gefallen. Die Geschichte ist spannend, die einzelnen Charaktere wirken realitätsnah und auch die Umsetzung durch Bernd Stephen ist gelungen. Insgesamt ist So weit die Wolken ziehen eine spannende Internatsgeschichte vor einem leider schrecklichen historischem Hintergrund, der für die Protagonisten aber ihre Kindheit und Jugend ist und ihr Alltag ist

So weit die Wolken ziehen von Willi Fährmann wird in der Hörbuchversion von Bernd Stephan gelesen. Die Stimme des Sprechers ist angenehm und passt zu der Erzählung.

So weit die Wolken ziehen ist im GoyaLit – Verlag erschienen und kostet ungefähr 14,99 Euro.